1001 Abenteuer am Balkan

Jungunternehmer*innen leiten eine ökologisch und sozial nachhaltige Reiseagentur in ihrer
Heimatregion Berat, Albanien. Ihr Ziel: jungen Leuten eine Perspektive bieten.


Von  Valentina Gianera17.03.2021

“Wir wachsen mit dem Gedanken auf, Albanien eines Tages verlassen zu müssen. Wir lernen
Fremdsprachen, um, sobald wir volljährig sind, nach Deutschland, Italien oder in andere
europäische Länder ziehen zu können”, beschreibt Erilda Krasi ihre Kindheit in der albanischen
Region Berat. Sie selbst hätte diesen Weg einschlagen sollen. Stattdessen stampfte sie 2014
zusammen mit einigen jungen Leuten aus der Region eine Reiseagentur aus dem Nichts. Ihr Ziel:
nachhaltigen und verantwortungsbewussten Tourismus fördern, abgeschottete Orte und Dörfer
erschließen und jungen Menschen und Familien auch zu Hause eine Perspektive bieten. Was
beinahe durch Zufall entstand, hat im Januar den “ARLEM-Award” der Europäischen
Union für junge und lokale Unternehmerschaft im Mittelmeerraum gewonnen.

Burg, Kaffee und wieder weg

Die Reiseagentur 1001 Albanian Adventures befindet sich in Berat, einer 100.000-Einwohner-
Stadt im Herzen Albaniens. Als die Agentur 2014 in der Region Fuß fasste, gab es zwar
Touristen in Berat, diese kamen jedoch nur, um die Festung, bekannt durch ihre Abbildung auf
der albanischen 10 Lek Münze, zu besichtigen, ließen sich höchstens zu einem schnellen Kaffee
hinreißen und fuhren dann weiter. Hinaus aus der Region, vielleicht an die Küste oder 100
Kilometer nordwärts nach Tirana. Die wenigen Hotels, die es damals gab, verbissen sich in
langjährigen Konventionen – “wir haben das immer schon so gemacht” – und scheuten jegliche
Zusammenarbeit.Nur ganz wenige konnten an den wirtschaftlichen Vorteilen, die mit den Touristen kamen, teilhaben.

 

Vor allem aber blieben Dörfer, Fluss- und Berggebiete in der Region, in denen viele
überhaupt keine wirtschaftliche Perspektive haben und von der Hand in den Mund leben,
unberührt. “Als wir zum ersten Mal nach Roshniku kamen, einem kleinen Dorf ganz in der Nähe,
begrüßten uns die Einwohner auf Englisch”, erzählt Erilda. “Kein Außenstehender hatte sich je
in dem Ort verlaufen. Sie dachten, wir seien Touristen.” Heute, vier Jahre später, hat sich
Roshniku zu einer blühenden kleinen Ortschaft entwickelt, Weingüter wurden angelegt und
Agritourismen aufgebaut. “Am Wochenende ist Roshniku oft so gut besucht, dass Gäste wieder
weggeschickt werden müssen”, staunt Erilda über die Entwicklung.

Etwas Glück und harte Arbeit
 
Die damals 20-Jährige hatte zusammen mit einigen Kommilitonen eine Ausschreibung zur
Aufwertung der natürlichen und historischen Schauplätze der Region gewonnen: 3000 Euro aus
dem Fond der AICS (Associazione Italiana per la cooperazione allo sviluppo). Gepaart mit
jeweils 200 Euro aus den eigenen Taschen und drei vollen Jahren unentgeltlicher Arbeit,
während denen sie sich mit anderen Jobs über Wasser hielten, hat sich die Initiative schließlich
zu einem kleinen unabhängigen Unternehmen entwickelt. “Anfangs haben wir Freunde um Hilfe
gebeten: Ein Informatikstudent hat gratis eine Webseite gebaut, ein anderer Freund den Text für
die Website übersetzt und ein Dritter hat uns dabei geholfen, die Aufnahmen für die Audioguides
zu machen.” Heute ist die Agentur auf Tripadvisor ganz oben zu finden, Buchungen und
Einnahmen kommen – wenn sich die Welt nicht gerade fest im Griff einer Pandemie befindet –
von allein.

Tourismus mal anders

1001 Albanian Adventures bietet Ausflüge an, die zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf Eseln
durchs Hinterland führen und so Canyons, Flussbecken und Berggebiete erforschen. Wie Erilda
erklärt, konzentriere sich die Agentur hauptsächlich darauf, nachhaltigen Tourismus zu
fördern, der einen sozialen Mehrwert für die Menschen der Region schafft. “Wir möchten
keine Touristen, die für einen Boxenstopp zu uns kommen und keine Zeit haben, überhaupt
etwas zu sehen, geschweige denn etwas zu kosten oder zu probieren.” Tourismus sollte einen
Berührungspunkt zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Gästen schaffen.

 

Deshalb werden die Ausflüge der Agentur in kleinen Gruppen organisiert: “Nicht mehr als zehn Personen und meistens teilen wir auch diese Gruppen noch mal: So können wir anstatt einem, zwei Touristenführer anstellen, zwei Chauffeure, zwei Eselführer… Wir machen damit zwar nicht viel
Profit, können das Einkommen jedoch an mehr junge Menschen und Familien verteilen”, erklärt
Erilda. Eine Sammelstelle für Handwerksprodukte und Spezialitäten der Region, eine
Art Weltladen im Kleinen, soll den Menschen einen fairen Marktzugang bieten.

Pandemie als Chance für die Zukunft
 
Im letzten Jahr war das Geschäft schwierig: Die meisten einheimischen Touristen verbringen
ihren Urlaub an der Küste und internationale Gäste waren aufgrund der Pandemie abgeschnitten.
Erilda, die mittlerweile verheiratet und Mutter von zwei Kindern ist, muss vorübergehend eine
andere Arbeit annehmen, um ihr Einkommen zu sichern. Trotzdem kann sie der Pandemie auch
Positives abgewinnen: Die Zeit wird dazu genutzt, das Hinterland von Berat durch Wanderwege,
Wegmarkierungen und Rastplätze zu erschließen. Da auch der Staat ein Interesse an der
Ausweitung der Infrastruktur hat, erhält die Agentur für diese Arbeit öffentliche Unterstützung.
“Im Moment können wir damit zwar kein Einkommen generieren, aber wir hoffen, in Zukunft
mehr Möglichkeiten und Angebote schaffen zu können”, erklärt Erlida.

Eine Kleingruppe bei der Entdeckung des Albanischen Hinterlandes. Bei Ausflügen bewegen
sich die Gruppen meist zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf Eseln. (Foto; 1001 Albanian
Adventures)
 
Zukunftsgerichtet sind nicht nur die neu erschlossenen Gebiete. Aufgrund der Restriktionen
haben einige junge Leute damit begonnen, sich in ihrer Heimat umzuschauen und Möglichkeiten
wahrzunehmen. “Vor der Pandemie hatten wir große Schwierigkeiten, junge Leute zu finden, die
für uns arbeiten wollten”, erzählt Erilda. “Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Albanien bei
über 40 Prozent. Deshalb verlassen viele, vor allem gut ausgebildete junge Menschen das
Land.” Nun haben manche damit begonnen, die Äcker ihrer Familien zu bestellen, andere haben
sich zu Touristenführern ausbilden lassen. “So werden neue Möglichkeiten geschaffen, und wir
können junge Leute finden, die uns unterstützen”, freut sich Erilda. “Sobald
grenzüberschreitender Tourismus wieder möglich ist, sind wir gerüstet.”

Mitmenschen eine Perspektive bieten
 
Ihr Einsatz, jungen Leuten in der Region eine Perspektive zu bieten, hat auch die
Aufmerksamkeit des Ausschusses der Regionen der EU auf sich gezogen. Im Januar 2021
gewann die Agentur den “ARLEM-Award” der EU für junge und lokale Unternehmerschaft im
Mittelmeerraum. Konkret bedeutet dieser Preis ein Marketingplan und Trainings für
Touristenführer. “In Zukunft werden wir damit mehr Buchungen und somit auch mehr
Einkommen verzeichnen können”, freut sich Erilda. Zudem erhält die Agentur den Priority
Status für EU Projekte in Albanien.

Lokale Produkte aus der Region. Ein Solidarity Shop soll in Zukunft als Sammelstelle für
Handwerksprodukte und Essenswaren dienen. (Foto; 1001 Albanian Adventures)
 
Auf die Frage, warum Erilda schlussendlich in Berat geblieben sei, meint die 27-Jährige, dass sie
manchmal noch immer mit dem Gedanken spiele, alles hinzuwerfen und sich mit ihrer Familie
im Ausland niederzulassen. Tun wird sie es trotzdem nicht: “Viele Familien in der Region
schaffen es kaum, Essen für den nächsten Tag zu besorgen. Wenn ich sehe, wie vielen wir durch
unsere Arbeit eine Perspektive bieten können, fühle ich mich vollständig glücklich und erfüllt.
Würden wir nach Italien ziehen, hätten wir diese Möglichkeit nicht. Das hält mich hier.”

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